Der THW Kiel hat in der DKB Handball-Bundesliga den Durchmarsch der Rhein-Neckar Löwen zum dritten Meistertitel in Folge zumindest vorerst gestoppt: Gegen den zuletzt elf Mal in Folge siegreichen Tabellenführer spielten sich die „Zebras“ vor allem im ersten Durchgang in einen Rausch. Bester Torschütze war Niclas Ekberg (6/2 Treffer), aus einer geschlossen stark auftretenden Einheit ragte zudem Torhüter Niklas Landin mit 14 Paraden heraus.
THW Kiel vs. Rhein-Neckar Löwen 27:22 (17:9)
Es kribbelte in der Sparkassen-Arena, es prickelte im Kieler Handball-Tempel – schon beim Warmmachen merkte man den Fans an, dass sie sich für diesen Abend gegen die Löwen wieder etwas Besonderes vorgenommen hatten. Und spätestens mit dem Einlaufen ihrer Mannschaft in das weite Rund war der Hexenkessel entfacht, begann die Magie der Arena und der 10285 enthusiastischen Fans zu wirken. Auf dem Feld gaben indes erst einmal die Gäste den Ton an, waren in der hektischen Anfangsphase mit vergebenen Gegenstößen, Torwart-Paraden von Palicka und Landin und einigen Flüchtigkeitsfehlern die bessere Mannschaft. Rückkehrer Kim Ekdahl du Rietz traf zum 3:2 (9.). Was sich dann allerdings in der Arena abspielte, hatte man in dieser Form lange nicht mehr gesehen. Die „Zebras“ spielten sich mit ihren Fans in einen gemeinsamen Rausch, der immer wieder von der einen oder anderen Seite angestachelt wurde. Steffen Weinhold eröffnete den Reigen mit dem 3:3, Marko Vujin setzte nach, als Landin dann Raul Santos mit einem weiten Pass auf die Reise schickte und der Österreicher mit einem spektakulären Dreher vollendete, hielt es kaum noch jemand auf den Sitzen. Löwen-Coach Nikolaj Jacobsen reagierte mit einer frühen Auszeit (12.), wollte so den Lauf des THW unterbrechen.
Doch ohne Erfolg. Die Kieler Defensive ackerte, blockte, kämpfte, verunsicherte, das es eine Freude war. Der Innenblock aus Firnhaber und Wiencek ging vor allem den Löwen-Superstar Andy Schmid offensiv an, verurteilte die gefürchtete Achse Schmid/Pekeler beinahe zur Bedeutungslosigkeit. Hinter dem massiven 6-0-Verbund war Landin hellwach, und auch das Rückzugsverhalten gegen die Konter der Löwen war überragend. Jede gelungene Aktion, jeder Stopp der Löwen wurde lautstark gefeiert, Ovationen für Blocks ließen die Kieler vergessen, dass sie drei Tage zuvor ein ebenfalls schweres, kraftraubendes Spiel gegen Szeged absolviert hatten. Ein Bollwerk in Schwarz-Weiß, in dem die Blau-Gelben keine Lücke fanden. Zehn Minuten lang. Als Groetzki wieder traf, lag seine Mannschaft 4:9 hinten. Hatten die „Zebras“ auch offensiv ein Feuerwerk abgebrannt. Anheizer war Miha Zarabec, der die Löwen-Abwehr in Dauerbeschäftigung hielt, den von Ekberg verwandelten Siebenmeter zum 6:3 herausgeholt hatte, selbst drei Gegenspieler vor dem 7:3 auswackelte. Und wie alle anderen Kieler mit viel Leidenschaft dabei war. Wie Wiencek, der nach einem Steal Ekberg zum 8:3 schickte, kurz darauf seinen Körper hinter einem Abpraller hinterher hechten ließ, der Ekberg das 9:3 ermöglichte.
Und der Rausch war auch nach Groetzkis Treffer nicht beendet. Die Kieler machten einfach weiter, setzten den Löwen in jeder Aktion zu, kämpften um jeden Ball, jeden Abpraller, jeden Zentimeter. Und trafen weiterhin die richtigen Entscheidungen. Nikola Bilyk, früh in die Partie gekommen, bediente Wiencek zum 10:4, Landin parierte gegen den freien Pekeler, Bilyk jagte eine wahre Fackel in die Maschen. 11:4 – zweite Auszeit der Löwen nach nicht einmal 22 Minuten. Jacobsen versuchte alles, ließ nun dauerhaft mit sieben gegen sechs agieren – was Raul Santos mit einem Wurf ins leere Tor zum 12:4 beantwortete. Wenn man das Haar in der Suppe suchen möchte, war das im weiteren Verlauf allenfalls die Quote bei den Würfen auf den verwaisten Kasten der Löwen. Ansonsten spielten die „Zebras“ weiter wie aus einem Guss, auch wenn die „Löwen“ nach der Hereinnahme Appelgrens besser ins Spiel fanden. Aber Vujins Pass auf den einfliegenden Wiencek, Zarabec Eins-gegen-Eins zum 15:7, Bilyks Alleingang zum 16:7 – längst wurde jeder Treffer von den Fans im Stehen bejubelt. Die Krönung der ersten Hälfte vollzog dann Niclas Ekberg: Der Schwede stürmte über den Rückraum durch die Löwen-Abwehr und traf zum 17:8. Reinkinds Tor mit dem Halbzeitpfiff ging im Jubel der Fans beinahe unter – der THW Kiel hatte mit einer unglaublichen ersten Hälfte ein echtes Statement gesetzt.
Auch die zweite Hälfte begann ganz nach dem Kieler Geschmack: Landin hielt gegen Mensah, Rahmel traf ins leere Tor: 18:9, Santos ließ wenig später einen Kunstwurf aus dem Nullwinkel zum 19:10 folgen. Doch dann zeigte Appelgren mehrfach seine Klasse, und die „Zebras“ waren im Abschluss nicht mehr so konsequent. Nun zeigten die Mannheimer, warum sie zurecht die Tabelle anführen und mit großen Schritten der dritten Meisterschaft in Folge entgegen rennen: Pekeler, Sigurdsson, Baena und erneut der „Bald-Kieler“-Pekeler durchbrachen viermal in Folge mit schnellen Angriffen den Kieler Beton, nach dem 4:0-Lauf zum 19:14 war wieder richtig Musik in der Partie. Und auch die Achse Schmid/Pekeler funktionierte auf einmal. Doch auch der THW wusste zu antworten: Duvnjak klaute den Ball, Wiencek traf zum 21:16 – jedes der nun wesentlich härter zu erarbeitenden Tore wurde von einem Jubel-Orkan begleitet. Und doch sorgten die Mannheimer nun für Stress, ließen sich nicht wirklich abschütteln. Nach Mensahs 19:23, da waren noch acht Minuten zu spielen, gelangten die Blau-Gelben wieder in Ballbesitz und hatten die Möglichkeit, den „Zebras“ noch dichter auf die Pelle zu rücken.
Ein Fehlpass von dem unter druck gesetzten Schmid an den Kreis verschaffte dem THW wieder Luft. Luft, die der von einer Grippe geschwächte Lukas Nilsson in krachende Treffer umwandelte: Nilsson traf mit 115 km/h zum 24:19, Nikola Bilyk legte mit nur unwesentlich geringerer Geschwindigkeit das 25:19 nach, was Ekdahl du Rietz aber postwendend beantwortete. Als Sigurdsson wenig später zum 21:25 traf, hätte es noch einmal spannend werden können. Nicht aber an diesem Abend, nicht aber mit diesen THW-Fans im Rücken, die ihre Mannschaft weiter antrieben. Nilsson traf zum 26:21, Andi Wolff parierte mit seinem berühmten Urschrei einen Siebenmeter von Sigurdsson, 10.285 feierten und sangen „Oh wie ist das schön“. Ein ganz starker Auftritt des THW Kiel, der ihm weiterhin die Möglichkeit offen hält, sich am Ende der Saison für einen internationalen Wettbewerb zu qualifizieren. Der vor einem Millionen-Publikum der ARD Sportschau gezeigt hatte, dass die Kieler gemeinsam Großes erreichen können. Und der der Mannschaft für die kommenden Aufgaben ganz viel Selbstbewusstsein gegeben haben dürfte.
Zwei Spiele stehen den „Zebras“ bis zur Nationalmannschafts-„Pause“ noch ins Haus: Am kommenden Donnerstag empfängt der THW Kiel in der DKB Handball-Bundesliga den VfL Gummersbach zur Revanche für die deutliche 27:31-Niederlage im Hinspiel. „Dieses Spiel hätte uns nicht passieren dürfen, damit haben wir uns selbst in eine schwierige Situation gebracht“, erinnert sich Patrick Wiencek nur ungern an die Begegnung im Oberbergischen. „Im Heimspiel wollen wir jetzt unbedingt die Punkte holen – auch, um mit einem guten Gefühl nach Szeged zu fahren.“ Denn in der ungarischen Stadt steigt am Oster-Sonntag das entscheidende Achtelfinal-Rückspiel in der VELUX EHF Champions League. In diese Partie gegen die Kieler nach der famosen zweiten Hälfte beim 29:22-Hinspielsieg mit einem Sieben-Tore-Polster. „Das aber war erst der erste Schritt“, warnt THW-Regisseur Miha Zarabec vor zuviel Euphorie. „Handball ist unfassbar schnell – und Szeged ist eine echte Heim-Macht. Da kann so ein Vorsprung ganz schnell aufgebraucht sein.“ Das wollen die Kieler natürlich mit allen Mitteln verhindern – beide Partien werden live bei Sky Sport übertragen. Weiter geht’s mit den Highlight-Wochen, Kiel!
Quelle: THW Kiel
Die weiteren Ergebnisse:
HC Erlangen vs. Frisch Auf! Göppingen 28:29
MT Melsungen vs. TuS Nettelstedt-Lübbecke 27:16
SC DHfK Leipzig vs. TVB 1898 Stuttgart 24:24
TV 05/07 Hüttenberg vs. TSV Hannover-Burgdorf 19:29