„Möge der Bessere gewinnen“, so hatte Dimitrij Ovtcharov gestern Abend noch gescherzt. Nicht einmal 24 Stunden später war der Weltranglisten-Fünfte bei den mit 220.000 Dollar dotierten China Open der Gewinner des deutsches Endspiels gegen Timo Boll, das angesichts der Ausgeglichenheit der Akteure und seines teilweise verrückten Verlaufs irgendwie so richtig keinen Verlierer verdient gehabt hätte. Das sah auch Dimitrij Ovtcharov so: „“Timo hätte den Sieg mindestens genauso verdient gehabt.“
Timo Boll: „Den Satz nach 10:6 noch zu verlieren, das war bitter“
Nicht umsonst trauerte Timo Boll nach dem dramatischen Finale berechtigterweise auch den verpassten Chancen aus den Sätzen eins, drei und sieben nach. Selbst 12.000 Dollar Prämie für den zweiten Platz sind für den Sportsmann Boll kein Trostpflaster für die vier vergebenen Matchbälle, die der Düsseldorfer beim Stand von 10:6 im Entscheidungssatz vor Augen hatte. Timo Boll: „Das war schon bitter, den Entscheidungssatz nach 10:6 noch abgeben zu müssen. Schon in Satz eins und drei hatte ich ja meine Führungen nicht genutzt.“ In dem kurios verlaufenden siebten Durchgang war Boll bereits mit 2:5 im Hintertreffen gewesen, bevor er nach einer bemerkenswerten Serie von 8:1-Punkten seinem zweiten Erfolg bei den China Open nachh 2006 in Guangzhou zum Greifen nahe war. Zumindest den Vorwurf leichter Fehler muss der Unterlegene nicht gefallen lassen: „Dima hat dann viel dann riskiert und alles getroffen. Dieser Mut wurde belohnt. Schade, aber es war insgesamt ein gutes Turnier für mich.“ Unter anderem hatte der Weltranglisten-Achte gestern im Halbfinale den Angriff von Japans 13 Jahre altem Supertalent Tomokazu Harimoto mit einem bemerkenswerten 4:1-Erfolg abgewehrt.
Dimitrij Ovtcharov: „Erst über den coolen Punkt gefreut, dann über den Titel“
Den finalen Punkt, der parallele Vorhandschuss auf den riskanten Vorhandtopspin Timo Bolls aus der Rückhandseite, er demonstrierte die Stärke, die Dimitrij Ovtcharov bei den China Open vor allem bei knappen Spielständen immer wieder an den Tag legte: „Timo hatte ja auch in den Sätzen eins und drei teilweise hohe Führungen. Aber wenn es eng wurde, habe ich in China meistens mein bestes Tischtennis gespielt. Der letzte Punkt gegen Timo war natürlich unglaublich. Da habe ich mich im ersten Moment zunächst sogar mehr über den coolen Ballwechsel gefreut. An den Titel habe ich in dem Moment gar nicht gedacht, ich hatte ja nach meinem Rückstand kaum noch an den Sieg geglaubt.“ Die entscheidende Phase des Matches sah einen perfekt spielenden Ovtcharov: „Bei 6:10 bin ich sechsmal hintereinander volles Risiko gegangen und habe sechsmal getroffen. Das ist einmalig.“
Doch auch die Realisierung des mit 17:15, 7:11, 12:10, 11:9, 7:11, 6:11 und 12:10 Erreichten ließ nicht lange auf sich warten. Ovtcharov: „Ich bin natürlich stolz darauf, solch ein großes Turnier gewonnen zu haben, auch wenn die drei besten Chinesen am Ende nicht mehr dabei waren. Es war ein sehr von Taktik geprägtes Finale gegen Timo, das ich nicht vergessen werde und das lange auf des Messers Schneide stand. Es war ein verrücktes Spiel und wir hatten beide den Titel verdient, aber im Sport kann es ja immer nur einen Sieger geben.“
Mit seinem Titelgewinn bei den China Open trägt sich Dimitrij Ovtcharov, der einen Siegerscheck in Höhe von 25.000 Dollar erhält, als dritter Ausländer nach dem Kroaten Zoran Primorac 1997 und Timo Boll 2006 in die Liste der Sieger im Herren-Einzel ein. Insgesamt war es der sechste Titelgewinn in der World Tour für den Europameister von 2015 und 2013, der im Februar 2017 bereits die India Open für sich entschieden hatte. Bei den Damen holte sich bei den China Open in Chengdu Weltmeisterin Ding Ning Gold im Einzel vor dem 16-jährigen Shooting Star Sun Yingsha und setze sich auch m Doppel an der Seite von Liu Shiwen durch. Der Titel im Herren-Doppel ging an die Japaner Jin Ueda/Maharu Yoshimura.
Chinas Stars veröffentlichen Entschuldigung
An den Finaltagen standen bei den Herren zwar die Athleten aus Deutschland und aus Japan im Mittelpunkt, noch mehr als über den Sport wurde in China aber in den vergangenen beiden Tagen über das Nichtantreten der Superstars Ma Long, Fan Zhendong und Xu Xin im Achtelfinale diskutiert. Chinas nationale Sportadministration hatte am Freitag vom chinesischen Tischtennisverband CTTA eine genaue Untersuchung des Vorfalls sowie ein strenges Durchgreifen öffentlich eingefordert. Im Anschluss an die China Open wird der Weltverband ITTF, in enger Abstimmung mit der Athletenkommission, den Vorfall untersuchen und über mögliche Konsequenzen entscheiden.
Inzwischen äußerte sich das Trio zu seinem ungewöhnlichen Akt der Solidarität für ihren Ziehvater Liu Guoliang, der seinen Posten als Cheftrainer im Rahmen einer Umstrukturierung des Trainerbereichs in dieser Woche hatte räumen müssen und stattdessen einen Posten als Vizepräsident der CTTA erhielt. Das „chinesische Nationalteam“ räumt in dem öffentlichen Schreiben ein, die Gründe für die Neugestaltung des Trainerbereichs nicht in allen Einzelheiten verstanden zu haben. Es habe die Bedeutung seiner Fehler eingesehen und entschuldige sich zudem dafür, das Image der Nationalmannschaft beschädigt zu haben. Ma, Fan und Xu sowie die Trainer Qin Zhijan und Ma Lin veröffentlichten außerdem entsprechende Erklärungen auf ihren Webseiten im chinesischen Social-Media-Netzwerk Weibo.
Quelle: Deutscher Tischtennis Bund